Konrad Wolf – Chronist im Jahrhundert der Extreme

20.10.2020

Konrad Wolf – Chronist im Jahrhundert der Extreme

Am 20. Oktober 2020 jährt sich Konrad Wolfs Geburtstag zum 95. Mal. Aus diesem Anlass erinnern wir uns an sein Leben und Schaffen und seine eindrucksvolle Persönlichkeit.

2019 haben Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel ein beeindruckend detailgetreues und höchst interessantes Buch über Koni geschrieben, welches auch Gegenstand mehrerer Lesungen und Gesprächsrunden unserer Friedrich-Wolf-Gesellschaft war und ist. Am 13. Dezember 2020 stellen die Autoren ihr Werk erneut vor, dieses Mal im Rahmen der Lehnitzer Lesungen und Gespräche.

Hier – mit freundlicher Genehmigung der Autoren – einige kurze Auszüge aus dem Buch „Konrad Wolf – Chronist im Jahrhundert der Extreme“:

 

„Fremd bin ich ausgezogen - fremd zieh ich wieder ein

oder

Konrad Wolfs Lebensreise in ein unbekanntes Land“

 

Alle Arbeiten, von den frühen Zeichnungen des Kindes bis zu seinem letzten Film, bezeugen die Suche Konrad Wolfs nach etwas, von dem er immer als Heimat hört von Deutschland. Er versucht zu erkunden, was das für ein Land sei, zu dem er angeblich gehört. Der besondere Stil seiner Filme und seine Denkungsart bezeugen eine Behutsamkeit, Vorsicht, ja Unsicherheit im Blick auf die Realität. So werden alle seine Arbeiten zu Entdeckungen, so sucht er in jedem Film nach einer neuen Gestaltung, einer neuen Ästhetik. Immer ist es nicht hinreichend für ihn, immer bleiben ihm Fragen, was das für ein Land sei, für eine Welt, zu der er gehört. »Das ist meine Heimat, sagt man“ hören wir im Off des Films Ich war neunzehn Gregor sagen, während die Bilder das zerstörte Deutschland zeigen.

Als er das Land verlassen muss, weil sein Vater es verlassen muss, liegt es als schwäbischer Dialekt in seinem Mund. Ein Phantom-Land, von dem er sich immer weiter entfernt, weil er sein Leben, seine Zeit zu leben hat in einem anderen Land, mit einer anderen Sprache, einer anderen Kultur und anderen politischer Verhältnissen. Die kulturellen Wurzeln werden zu einem theoretischen Phänomen. Seine Realität, auch seine emotionale, ist längst eine andere. Konrad Wolfs Filme beschreiben von Beginn an den Versuch, die Herkunft zu verstehen, ja erst einmal zu entdecken. Der Riss durch die deutsche Geschichte verläuft auch durch die Biographie von Konrad Wolf. In einer frühen Skizze für den Film Ich war neunzehn notiert er über die Hauptperson: „Er fühlt sich nicht als Deutscher, er will keiner sein; er will weder dorthin heim, wo er aufgewachsen ist, noch aus seiner neuen Heimat fort. In seinem Unterbewusstsein hasst er die Deutschen, weil er ein Deutscher ist.“

Was soll mit diesem Land geschehen? Muss man es nicht schleunigst wieder verlassen? Es gibt nicht so viele gute Erinnerungen an diese Heimat, dass sie die Schrecken des Krieges relativieren könnten. Die längste Zeit des Lebens war er fern von hier. Im Gedächtnis des Vaters liegen ein paar Jahre mehr erinnerbarer guter Zeit vor der Flucht. Man hat von diesem Land gesprochen, man hat davon geträumt, man hat darauf gewartet. Aber dann ist alles anders. Konrad ist Soldat und sein nächster Befehl heißt: Aufbau. Dieses besiegte und besetzte Land muss wieder lebendig werden.

Er wird Mitarbeiter der Berliner Zeitung, geht mit der 47. Armee nach Wittenberg, kehrt nach Berlin zurück, arbeitet für den Rundfunk, die Theater, das Kino, das Verlagswesen. Alles muss neu beginnen in diesen Ruinen. 1946 wird er Mitbegründer der DEFA. Dann geht es nach Halle: Aufbau der Theater und der Presse.

Seine Schulausbildung hatte der Krieg unterbrochen. Er war der deutschen Sprache nicht mehr sehr mächtig. Er geht auf die Abendschule und legt 1949 mit vierundzwanzig Jahren sein Abitur ab.
„1949 nahm ich im Sommer Urlaub und fuhr, wie immer damals, nach Moskau. Ich wollte nur Ferien machen und landete vor der Prüfungskommission der Filmhochschule in Moskau. Warum auch nicht? Ein Versuch – die Chancen sind sowieso fast aussichtslos bei fünfundzwanzig Bewerbern auf einen Studienplatz. Aber das Schicksal nahm seinen Lauf – nach der Rückkehr traf ein Telegramm in Berlin ein: ‚Prüfung bestanden. Ab 1. September Studienbeginn.“
In Moskau, seiner eigentlichen Heimat, lernt er bei den großen Regisseuren des sowjetischen Films das Handwerk. Es gibt keine vergleichbare Universität zu dieser Zeit auf der Welt.  

Er gibt 1951 eine eidesstattliche Erklärung ab, dass er nach Erhalt des Personalausweises der DDR einen Antrag stellen wird, um aus der sowjetischen Staatsbürgerschaft entlassen zu werden. 1952 ist dieses Prozedere abgeschlossen, er wird DDR-Bürger und tritt in die SED ein. Er ist 27 Jahre alt. Sein Vater Friedrich, der gern mit ihm die Firma Wolf und Sohn gründen würde, versucht ihn für die Verfilmung eigener Themen zu gewinnen und zu einer Ästhetik, die sich an den früheren Eisenstein-Filmen orientiert. Konrad widersetzt sich.  Er hat an Selbstbewusstsein gewonnen und weiß um die andere Situation seiner Generation.

Alle Weichen für grundlegende Richtungsänderungen im Berufsleben von Konrad Wolf werden ungewöhnlich früh gestellt. Mit 17 Jahren wird er in die Rote Armee einberufen, mit 20 ist er, wenn auch nur kurzfristig, Stadtkommandant in Bernau, mit 22 wird er, damals noch Sowjetbürger, Kandidat der KPdSU, mit 30 Jahren erhält er am 15. Januar 1955 bereits einen festen Vertrag als DEFA-Regisseur, mit 31 Jahren wird er Mitglied im Zentralrat der FDJ, mit 34 Jahren bereits erster Vorsitzender des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Kunst (1959-1966). Am 12. Juni 1965 schließlich wird er mit 39 Jahren der jüngste Präsident der Akademie der Künste in Ost-Berlin.

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Alle Aufgaben und Angebote kamen von außen auf ihn zu. Er stellte sich ihnen mit einer Bereitschaft, die doch auf eine erstaunliche innere Stabilität hinwies. Wenn er gebraucht wurde, war er grundsätzlich bereit, Arbeit und Pflichten zu übernehmen. Woher kam diese unsichtbare Stärke? Aus der Familientradition, dem Vorbild des Vaters wie der Mutter? Aus der Disziplin eines Sozialisten und Treue zur Partei? Aus den Koordinaten seines eigenen Charakters? Oder folgte sie der realistischen Einschätzung derer, die ihn beriefen und in dem Wissen wählten, dass sie es bei ihm keineswegs mit einem Machtmenschen zu tun hatten wie bei so vielen anderen Karrieristen? All diese Aspekte gemeinsam beantworten die Frage, warum es zu ihm als Präsidenten der Akademie im schwierigen Amt der Vermittlung zwischen Politik und Kunst eigentlich 1965 keine Alternative gab. Er war der Wunschkandidat, auf den sich alle gern einigten, auch wenn in der Regel für solche repräsentativen Führungsaufgaben Honoratioren höheren Alters bevorzugt wurden, die mit stattlichen Lebenswerken aufwarten konnten.

Noch bitterer aber war für Konrad Wolf die Unterdrückung seines Filmes Sonnensucher aus dem Jahre 1958. Dabei handelt es sich um ein Meisterwerk, einen der besten Filme von ihm, der allein schon wegen seiner ungewöhnlichen Filmsprache ganz sicher zu diesem Zeitpunkt auch international sehr beachtet worden wäre. Konrad Wolf muss das geahnt haben – aber nicht nur deswegen kämpfte er noch Jahre später um die Chance, diesen Film seinem Publikum zu zeigen. Die größte Kränkung seiner Ehre als Regisseur war, dass er mit diesem Film ganz dicht an seinem biographischen Lebensthema war: Gibt es die Möglichkeit eines allmählich wachsenden Vertrauens zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern, zwischen den Russen und den Deutschen? Vielleicht war Konrad Wolf aufgrund dieser eigenen Erfahrungen besser auf das einschneidende politische Ereignis am Ende des Jahres 1965 vorbereitet, das die gesamte Kunst- und Filmszene der DDR völlig überraschte und schockierte und das auch seine eigene Parteiloyalität zum ersten Mal heftig erschütterte: das elfte Plenum des ZK der SED, das vom 16. bis 18. Dezember 1965 stattfand. Da war der neue Präsident der Künste erst wenige Monate im Amt.

So frisst die Angst vorm Scheitern des Sozialismus auch die Seele sensibler und durchaus mutiger Sozialisten auf. Konrad Wolf muss geahnt haben, dass das ganze Konstrukt der DDR brüchig wurde, gerade in dieser Zeit, als er es mit aller persönlichen Redlichkeit noch zu stabilisieren versuchte. Persönlich zahlte Konrad Wolf einen hohen Preis für seine singuläre öffentliche Erklärung zum Fall Biermann. Er geriet in eine zunehmende Isolierung, sowohl gegenüber einigen Mitgliedern seiner Akademie wie gegenüber der Partei. Er wurde von führenden Parteigenossen offen kritisiert, seine Erklärung sei nicht konsequent genug und zu einfühlsam.

Am 7. März 1982 stirbt Konrad Wolf nach schwerer Krankheit im Krankenhaus in Berlin-Buch.

Zehn Jahre nach seinem frühen Tod schreibt Christa Wolf, deren Gespräche mit dem Freund zuletzt auch immer seltener wurden, in ihrem Text „An Konrad Wolf erinnern“: „Für mich war Konrad Wolf eines, vielleicht das Beispiel für einen Menschen, der sich in den Konflikten nicht der letzten vierzig, sondern vielleicht der letzten zwanzig Jahre zerrieben hat – Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass er nicht mehr leben konnte und dass er in einem Moment gestorben ist, in dem er keinen Spielraum mehr hatte.“

Sein Freund Angel Wagenstein war sich in seinem Nachruf auf Konrad Wolf sicher: „Dass Du eigentlich immer ein und denselben Film gemacht hast: ein Zeugnis vom Denken eines Künstlers, das angeregt wurde durch Krieg und Gewalt, geprägt von seinen Ängsten, seinem Zorn und seiner Zärtlichkeit … ein neunzehnjähriger Leutnant, der von der Wolga aufgebrochen war, die Welt zu bessern.“  … „Und wenn ich jetzt einen Strich ziehen soll unter unsere lange und gute Freundschaft, da ich nun gezwungen bin, einen weiteren Kreis aus meinem Leben zu vollenden, der in sich all unsere Gespräche einschließt, unsere Freuden und Enttäuschungen … –  ich werde Dir dankbar bleiben für zwei wichtige Lektionen, die ich von Dir erhielt: Lektionen in Treue und in Toleranz. Du bist der treueste Mensch, den ich kenne; dabei meine ich sowohl die ‚große‘ als auch die ‚kleine‘ Treue, die Treue für ein ganzes Leben und für jeden Tag, für jede Stunde des Tages. Ich meine eine Toleranz, die sowohl ästhetische Bereiche wie kleine menschliche Neigungen betrifft.“ 

 

Filmografie:

Einmal ist keinmal, 1955

Lissy, 1956

Genesung, 1956

Sonnensucher, 1958

Sterne, 1959

Leute mit Flügeln, 1960

Professor Mamlock, 1961

Der geteilte Himmel, 1964

Der kleine Prinz, 1966

Die Ermittlung (Theateraufzeichnung), 1966

Ich war neunzehn, 1968

Goya – oder der arge Weg der Erkenntnis, 1971

Der nackte Mann auf dem Sportplatz, 1974

Mama, ich lebe, 1976

Solo Sunny, 1980

Konrad Wolf 1981 bei Dreharbeiten zu "Busch singt" © Barbara Köppe

Konrad Wolf 1981 bei Dreharbeiten zu "Busch singt" © Barbara Köppe